Forscher aus Tü-bingen haben entdeckt, daß ein Gendefekt, der für den Kleinwuchs bei Mädchen mit Turner-Syndrom als bedeutsam gilt, auch bei anderen minderwüchsigen Kindern vorliegt.
Jungen und Mädchen sind davon gleichermaßen betroffen. Nach ersten klinischen Erfahrungen ist bei diesen Patienten - ebenso wie bei Mädchen mit Turner-Syndrom - eine Therapie mit Wachstumshormon in hoher Dosierung wirksam.
Bei dem Gen, dessen Mutation oder Deletion mit Wachstumsstörungen assoziiert ist, handelt es sich um das SHOX (short stature homeobox)-Gen, das sich an der Spitze des X- und des Y-Chromosoms befindet, wie Dr. Gerhard Binder von der Universitäts-Kinderklinik Tübingen der „Ärzte Zeitung“ gesagt hat. Voraussetzung für normales Wachstum sei, daß das SHOX-Gen auf beiden Geschlechtschromosomen aktiv sei.
Beim Turner-Syndrom fehlt bekannterweise ein X-Chromosom. Für seinen Beitrag zur Erforschung des SHOX-Genes ist Binder jetzt mit dem Jürgen-Bierich-Preis für Arbeiten in der Pädiatrischen Endokrinologie ausgezeichnet worden.
Nach Erhebungen an der Tübinger Universitätsklinik haben etwa ein Prozent der kleinwüchsigen Patienten einen SHOX-Gen-Defekt. Gezielt danach gesucht wird in der Tübinger Ambulanz routinemäßig bei Verdacht auf diesen Defekt. Dieser besteht bei Kindern mit Wachstumsstörungen, die denen bei Turner-Syndrom ähneln.
Binder: „Die Kinder sind bei Geburt diskret kleiner als gesunde Kinder, sie wachsen dann im unteren Bereich der Norm und haben etwa ab dem Alter von zwei bis drei Jahren ein verzögertes Wachstum.“ Auffällig sei auch, daß trotz der Wachstumsstörungen im routinemäßig angefertigten Röntgenbild der linken Hand die Knochenentwicklung altersentsprechend sei.
Zur Therapie der Kinder mit Wachstumsstörungen bei SHOX-Gen-Defekt setzen die Tübinger Forscher aufgrund der Ähnlichkeit des Krankheitsbildes zum Turner-Syndrom Wachstumshormon in der doppelten Dosis ein, wie sie sonst zur Substitution des Hormons bei kleinwüchsigen Kindern mit Mangel dieses Hormons üblich ist.
Dieses Vorgehen habe sich nach Dosis-Findungsstudien bei Mädchen mit Turner-Syndrom als das effektivste erwiesen, so Binder. Ohne Therapie würden diese Kinder nur etwa 1,45 Meter groß, mit doppelter Wachstumshormon-Dosis jedoch über 1,50 Meter. Zwei in Tübingen so behandelte Kinder mit isolierter SHOX-Gen-Mutation hätten auf die bisher zweijährige Therapie ebenso gut angesprochen, wie es sonst bei Mädchen mit Turner-Syndrom der Fall sei, so Binder.
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