"...von Grinzing heimwärts wackel´ ... (*)" . Weinseligkeit, Torkeln und betrunken Umfallen: Mehr als ein Bild des (Katzen-)Jammers, wie nun eine aktuelle Studie zu den verheerenden Auswirkungen von Alkoholmißbrauch auf Gehvermögen und Gehirnalterung zeigt.
Marlene Oscar-Berman, Neurologie- und Psychiatrieprofessorin an der Boston University School of Medicine, unterstreicht die Informationstiefe der jüngsten Studie: "Diese Arbeit gibt uns detailliert Aufschluß über die verschiedenen erwiesenen neurophysiologischen Verfallserscheinungen und Verhaltensanomalien durch Alkoholeinfluß". Die Studie wurde in der aktuellen Ausgabe des Journals "Alcoholism: Clinical & Experimental Research" veröffentlicht.
Studienleiterin Dr. Edith Sullivan untersuchte männliche Patienten einer Entziehungsklinik auf Beeinträchtigungen des kognitiven und des motorischen Systemes, da hier die Ausgangssituation klar definiert war: Alkoholiker mit stabilem und relativ gutem Gesundheitszustand, die bereits monatelang ohne Alkoholeinfluß lebten.
"Trocken" bedeutet noch lange nicht "geheilt"
Trotzdem fanden sich bei allen Patienten mäßige aber signifikante Defizite beider Systeme: Vor allem Gehvermögen und Balance waren betroffen, gefolgt von Flächen- und Raumorientierung sowie Logik und Ordnungsvermögen.
"Die Ergebnisse fanden wir alarmierend - bislang war man davon ausgegangen, daß diese Fähigkeiten mit Alkoholentzug wiedergewonnen werden könnten".
Dem ist allerdings nicht so: "Alle Patienten mussten nach unseren "Strassentauglichkeitstests" als " (...im wahrsten Sinne...) "ziemlich instabil angesehen werden. Wenn also jemand nach 30-Tage-Entzug die klinik "trocken" und mit gewisser Regeneration verlässt, heißt das noch lange nicht, daß er geheilt ist" - oder sich jemals vollständig regenerieren wird.
Früherer und intensiverer körperlicher Verfall
Daß exzessiver Alkoholgenuß schädliche Auswirkungen auf Struktur und Funktion des Gehirns hat, ist hinreichend erwiesen. Aber auch die Beschleunigung des Alterungsprozesses zählt zu den Risiken des Alkoholismus. "Es ist der Zustand des Gehirnes, wie er sich im Verhalten ausdrückt", erklärt Oscar-Berman.
Und hier befinden sich Alkoholiker in einer ziemlich unangenehmen Situation: Alle Menschen, so Sullivan, würden mit fortschreitendem Alter unsicher in Balance und Fortbewegung: "Jedoch mehren sich diese Anzeichen des körperlichen und geistigen Verfalls bei Alkoholikern wesentlich früher und intensiver".
Alkohol läßt Gehirn schneller altern und schrumpfen
"Schon vor 50 Jahren wurde bei Autopsien festgestellt, daß die Gehirne von Alkoholikern in Größe und Zustand jenen viel älterer Nichtalkoholikern entsprachen", so Oscar-Berman, die auch der Meinung ist, daß ihre darauf aufbauende Hypothese "frühzeitigen Alterns" in ihrer Gültigkeit bestätigt würde: "Bei jüngeren Alkoholikern kann man dies noch nicht feststellen, bei älteren Patienten allerdings sehr wohl: Wenn diese Menschen die 50 erreicht oder überschritten haben, erleben sie alle Altersverfallserscheinungen - nur früher und schneller als andere Menschen".
Mit Defiziten leben müssen
Die Annahme, daß ein kompletter und erfolgreicher Entzug den Alkoholikern die Chance gäbe, ihre köperliche und geistige Leistungsfähigkeit vollständig wiederzuerlangen, ist wahrscheinlich falsch, fürchtet Sullivan: "Keineswegs gibt es diese Gewißheit. Manche der Fähigkeiten gehen unwiederbringlich verloren. Der Alkoholkranke muß sich damit abfinden und sein Alltagsleben daraufhin ausrichten".
* "Wenn ich in Begleitung meines Dachshundes betrunken aus einem Wiener Heurigenvorort nach Hause torkle ..." (Übersetzung der ersten Zeile eines bekannten alten Wienerliedes)
© medizin.at