Als erster interdisziplinärer Arbeitsgruppe weltweit ist es den Abteilungen Neurochirurgie (Prof. Richter), Röntgendiagnostik (Prof. Brambs) und Nuklearmedizin (Prof. Reske) der Universität Ulm gelungen, moderne Bildgebende Verfahren für die Mikroskopbasierte navigierte Hirnchirurgie kombinatorisch zu nutzen. Dabei werden Daten von MRT-, fMRT- und PET-Systemen in die Neuronavigation integriert.
Die Methodik verbindet Standard-Kernspintomographie (MRT), funktionelle Kernspintomographie (fMRT) und Positronenemissionstomographie (PET). 1995 begann die von Richter geleitete Abteilung mit der navigativen Chirurgie, seitdem
wurden mehr als 400 Patienten nach diesem Verfahren operiert.
Probleme bestehender singulärer Methoden
Hirntumore unterscheiden sich in ihrem Aussehen selbst unter dem Operationsmikroskop häufig nicht von normalem Hirngewebe. Das ist dann besonders problematisch, wenn ein solcher Tumor eloquente Hirnregionen tangiert, also in der Nähe von Sprach- oder Bewegungszentrum liegt.
Die MRT ist heute die Methode der Wahl zum Nachweis eines Hirntumors, gibt allerdings nicht immer dessen reales Ausmaß wieder. Am narkotisierten Patienten aber kann das Sprachzentrum bei der Operation klinisch nicht geprüft werden, daher verbindet sich mit der Notwendigkeit möglichst radikaler Entfernung des Tumors die Gefahr, daß wichtige neurologische Funktionen geschädigt werden.
Vorteile der Datenfusion
Die MRT zeigt nicht, wo Sprache, Bewegung oder Kurzzeitgedächtnis lokalisiert sind. Dies ist jedoch mit der fMRT möglich: Nach Fusion der Datensätze von MRT und fMRT weiß man, wo diese Funktionen in Bezug auf den Tumor liegen, ob sie durch ihn verlagert sind und ob sich z.B. sprachrelevante Regionen innerhalb des Tumors selbst befinden, was einer Operation entgegenstünde.
Da sich jedoch nicht ausschließen läßt, daß der im MRT sichtbare Tumor nicht mit dem eigentlichen Tumor deckungsgleich ist, bedarf es einer weiteren diagnostischen Maßnahme zur präzisen Ortung. Die zuverlässige Abgrenzung gegenüber Umgebungsreaktionen erfolgt durch PET unter Einsatz radioaktiv markierten C11-Methionins, wodurch die Stoffwechselaktivität des Tumors abgebildet wird.
Vorgangsweise
Bei der Operation eines Patienten mit im MRT diagnostiziertem Hirntumor in oder nahe einer eloquenten Region geht der Chirurg nun folgendermaßen vor: Auf die Kopfhaut werden mehrere Marker aufgeklebt, die sowohl im fMRT als auch im PET erkannt werden und bis zur Operation aufgeklebt bleiben. Die fMRT- und PET-Bilder werden aufeinander abgestimmt und direkt in das Navigationssystem integriert.
Zu Beginn der Operation wird der Kopf des Patienten in ein Fixationssystem eingespannt. Dann können die Hautmarker mit dem OP-Mikroskop angefahren und die Schnittbilder mit dem Operationsfeld abgeglichen werden. Während des Eingriffs hat der Chirurg die Möglichkeit, die Bilder jederzeit in sein Mikroskop-Gesichtsfeld einzublenden. Auch die Resektionsgrenzen, die bereits vor der Operation festgelegt werden, lassen sich in jeder Ebene des Mikroskop-Fokus sichtbar machen.
Ungenauigkeiten durch den sogenannten Brain-Shift, das sind Volumenverlagerungen nach chirurgischen Manipulationen (Verkleinerung des Tumors mit daraus resultierendem Nachrücken des umgebenden Gewebes) sind geringer als anfangs vermutet. Durch Lagerung des Operationsfeldes am höchsten Punkt wird der Liquorabfluß aus dem Kopf minimiert und damit der Brain-Shift reduziert.
Praxiserfahrungen
In einem Vorversuch (1997-1999) wurden bei 23 Patienten die fMRT-Informationen über Lage und Ausdehnung von Motorcortex und Sprachzentrum indirekt in das Navigationssystem eingespielt. Zur Sicherstellung, daß dabei keine Fehler unterlaufen, war es damals noch erforderlich, den Motorcortex elektrophysiologisch zu orten.
Das Brocasche Sprachzentrum mußte während der Operation am wachen Patienten identifiziert werden. Diese Form des Sprachmonitorings setzt allerdings voraus, daß der Patient, der hierbei unter einer erheblichen emotionalen Belastung steht, nicht nur kooperationsbereit, sondern auch kooperationsfähig ist.
1999 gelang erstmalig die Integration der Bilddaten. Seitdem wurden 20 Patienten unter direkter funktioneller bzw. multimodaler Navigation operiert. Seit Anfang 2000
ist es möglich, auch die PET-Daten in der Neuronavigation direkt zu verarbeiten.
Die mit dieser aufwendigen Technik behandelten Patienten hatten sämtlich Tumoren in der Nähe eloquenter Hirnregionen. In diesen Fällen bestand bislang Anlaß zu der großen Sorge, daß durch die Operation Lähmungen, Sprachstörungen oder beides bewirkt werden könnten.
Dank der Kenntnis der genauen Lagebeziehung zwischen Tumor und funktionell wichtigen Zentren ist der Chirurg jetzt wesentlich sicherer. Vordem mußte er sich allein auf den Gewebeeindruck unter der Operation verlassen. Die nach der neuen Methodik operierten Patienten, die vor dem Eingriff keine neurologischen Defizite aufwiesen, hatten auch danach keine. In der Hälfte der Fälle, wo präoperative neurologische Störungen vorlagen, trat Besserung ein, die andere Hälfte blieb unverändert.
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