Morbus Bechterew ist eine chronisch entzündliche rheumatische Erkrankung, die oft zur Verknöcherung und Versteifung der Wirbelsäule führt. Die relativ jungen Patienten leiden meist unter
entzündungsbedingten und zum Teil erheblichen Rückenschmerzen. Nun ist erstmals eine Therapie in Sicht, bei der die Krankheitsaktivität bei einem Großteil der Patienten deutlich reduziert werden kann.
Bislang war es kaum möglich, die zugrundeliegende Wirbelsäulenentzündung wirksam einzudämmen, da anders als bei anderen Rheumaerkrankungen - etwa der rheumatoiden Arthritis - Kortisonpräparate und immunmodulierende
Substanzen wenig bis gar nicht nicht wirken.
"Die Behandlung mit biologischen Medikamenten aus der neuen Gruppe der Tumor-Nekrose-Faktor- alpha-Blocker kann als Durchbruch für Patienten mit ankylosierender Spondylitis bezeichnet werden", betont Dr. Braun von der Freien Universität Berlin.
Die bislang eingesatzten drei Therapieoptionen, nämlich
1. Schmerzbeseitigung durch nichtsteroidale Antirheumatika,
2. Krankengymnastik, um der Versteifung und Verkrümmung der
Wirbelsäule entgegenzuwirken und
3. Bremsung der begleitenden Gelenkentzündung durch Sulfasalazin, ein
Medikament aus der Gruppe der s.g. Basistherapeutika
mussten dringend durch eine neue therapie ergänzt, wenn nicht gar ersetzt werden.
Besserung bei mehr als 80 % der Kranken
Zusammen mit Kollegen des Universitätsklinikums Benjamin Franklin in Berlin hat Prof. Braun soeben eine Studie in "The Lancet" publiziert, welche die gute Wirksamkeit des Tumor-Nekrose-Faktor(TNF)-alpha-Blockers Infliximab bei Morbus Bechterev zeigt. Der Botenstoff TNF-alpha wurde in den entzündeten
Gelenken der Kranken vermehrt nachgewiesen und scheint wesentlich an der Aufrechterhaltung der chronischen Entzündung beteiligt zu sein.
"Mehr als 80 % der Behandelten zeigten unter Infliximab eine klinische Besserung und bei mehr als 50 % wurde die Krankheitsaktivität sogar um über die Hälfte reduziert", berichtet Prof. Braun.
70 Patienten mit aktiver ankylosierender Spondylitis wurden in die Studie aufgenommen. 35 Patienten erhielten je eine Infliximab-Infusion in einer Dosis von 5 mg/kg Körpergewicht in Woche 0, 2 und 6, während die andere Hälfte ein Placebo erhielt. Die Beobachtungszeit betrug 12 Wochen. Zur Beurteilung des Therapieerfolgs wurden Messungen der Krankheitsaktivität, der funktionellen Einschränkungen, der Beweglichkeit und der Lebensqualität herangezogen.
Der TNF-alpha-Blocker führte zu einer raschen und oft dramatischen klinischen Besserung. Nach 12 Wochen war die Krankheitsaktivität bei 53 % der Infliximab-Patienten um mindestens die Hälfte zurückgegangen.
Eine vergleichbare Besserung zeigten nur 9 % der Placebo-Patienten. Alltagsfunktion und Lebensqualität besserten sich signifikant unter Infliximab, nicht aber unter Placebo. Die Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika konnte bei 56 % der Infliximab-Patienten versus 19 % der Placebo-Patienten um mehr als die Hälfte reduziert werden. Entzündungsparameter im Blut (C-reaktives
Protein) fielen nur unter Infliximab signifikant ab, nicht dagegen unter Placebo.
"Auch wenn die Studien schwer vergleichbar sind, scheint der TNF-alpha-Blocker bei Patienten mit ankylosierender Spondylitis mindestens so gut, wenn nicht besser zu wirken als bei Patienten mit rheumatoider Arthritis, für die das Medikament bereits zugelassen ist", urteilt Prof. Sieper vom Universitätsklinikum Benjamin Franklin.
Der TNF-alpha-Blocker wurde von den meisten Patienten gut vertragen. In drei Fällen zeigten sich jedoch relevante Nebenwirkungen: Ein Patient entwickelte eine Tuberkulose, ein Patient eine allergische Granulomatose der Lunge und ein weiterer zeigte einen vorübergehenden Abfall der weißen Blutzellen (Leukopenie).
Alle Nebenwirkungen konnten erfolgreich behandelt werden, vor allem die Tuberkulose ist aber natürlich eine ernste Komplikation. Braun empfiehlt daher, vor einer Behandlung ein Tuberkulose-Screening durchzuführen und gegegbebenfalls prophylaktisch zu behandeln. Grundsätzlich sollte die neue Therapie zunächst vor allem in Zentren mit spezieller rheumatologischer Erfahrung eingesetzt werden. Langzeitdaten stehen noch aus, Experten rechnen jedoch damit, dass die effektive Unterdrückung der Entzündung bei ankylosierender Spondylitis auch der gefürchteten Wirbelsäulenversteifung vorbeugen kann.
Quelle: The Lancet 359; 2002:1187-93 (vom 6. April 2002)
Daten und Fakten zur ankylosierenden Spondylitis
An Morbus Bechterev leiden 0,2-0,9 % der Bevölkerung, Männer sind
etwas häufiger betroffen als Frauen. Die ersten Symptome beginnen
meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr, manchmal jedoch schon im
Kindesalter. Leitsymptom ist der tief sitzende, vor allem nächtliche
Rückenschmerz.
Neben den Gelenken der Wirbelsäule kann die Entzündung auch andere Gelenke und Sehnenansätze befallen sowie die Regenbogenhaut des Auges, die Herzklappen, die große Bauchschlagader, die Lunge oder die Niere. Schmerzen, Allgemeinsymptome und die allmähliche Versteifung der Wirbelsäule schränken die Lebensqualität, Komplikationen können in Einzelfällen sogar zum Tode führen. Nicht nur die große Häufigkeit von Rückenschmerzen in der Bevölkerung führt dazu, daß die Krankheit in Deutschland oft erst nach 6-8 Jahren erkannt wird. Hier sind verstärkte Anstrengungen erforderlich, um durch eine systematische Früherkennung und die jetzt zur Verfügung stehende Therapie besser in der Lage zu sein, das Fortschreiten der Erkrankung und die Versteifung der Wirbelsäule aufzuhalten.
TNF-alpha-Blocker: Was ist das eigentlich?
TNF-alpha-Blocker hemmen den körpereigenen Botenstoff TNF-alpha, der
bei einigen chronisch-entzündlichen Erkrankungen eine wichtige Rolle spielt. TNF-alpha wird durch diese Medikamente im Blut oder auf Zelloberflächen gebunden und so unschädlich gemacht. Bisher sind zwei TNF-alpha-Blocker auf dem deutschen Markt verfügbar: Infliximab und Etanercept. Infliximab ist zur Behandlung schwerer, therapieresistenter rheumatoider Arthritis zugelassen und zur Behandlung von Morbus Crohn, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung, die nicht selten mit einer ankylosierenden Spondylitis assoziiert ist. Etanercept besitzt die Zulassung für die Behandlung schwerer rheumatoider Arthritis und für Kinder mit juveniler chronischer Arthritis.
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