Viele depressive Patienten gehen nicht zum Arzt, sondern in den Supermarkt: Von rezeptfreien Johanniskraut-Präparaten erhoffen sie sich eine "sanfte Therapie" ihrer Depression. Doch die Selbst-Behandlung kann Folgen haben, denn Depression ist eine schwere, oft lebensbedrohliche Erkrankung.
"Wer unter Depressionen leidet, benötigt professionelle Hilfe", erklärt Prof. Dr. Hegerl, Sprecher des deutschen Kompetenznetzes Depression und warnt vor einer Selbstmedikation mit Johanniskraut. "Die meisten Präparate, die im Supermarkt oder einer Drogerie verkauft werden, enthalten Johanniskraut-Extrakt in zu niedriger Dosierung und bleiben deshalb ohne Wirkung."
Nach Schätzung des Kompetenznetzes Depression gehen vier von zehn
depressiven Patienten nicht zum Arzt und riskieren, dass sich ihr
Gesundheitszustand weiter verschlechtert. Tiefe Hoffnungslosigkeit, die Unfähigkeit, Freude zu empfinden, Schlafstörungen und körperliche Beschwerden gehören zu den Anzeichen einer Depression.
"Die Krankheit ist mit einem hohen Suizidrisiko verbunden", sagt Prof. Hegerl von der Psychiatrischen Klinik der Ludwig- Maximilians-Universität München. 15 Prozent aller schwer depressiven Patienten versterben durch Selbsttötung, jeder zweite depressive Patient hat bereits einen Suizidversuch unternommen. "Angesichts des Suizidrisikos kann eine Selbstbehandlung der Depression schwer wiegende Folgen haben", warnt Hegerl.
Angehörige und Freunde sollten den Betroffenen ermutigen, die Hilfe eines Arztes oder Psychotherapeuten in Anspruch zu nehmen, und ihn notfalls zum ersten Termin begleiten.
Johanniskraut wird in mehr als 50 Zubereitungen angeboten und ist das
meistverkaufte pflanzliche Antidepressivum. Geeignet sind Johanniskraut-Präparate aber nur für die Behandlung von leichten bis mittelschweren Depressionen. "Eine schwere Depression ist eine Kontraindikation, denn neueste wissenschaftliche Studien zeigen, dass Johanniskraut nur bei leichteren Depressionen wirkt," betont Hegerl
Der Mythos von der "sanften Medizin" trifft auf Präparate, die aus der Johanniskraut-Pflanze gewonnen werden, nur bedingt zu. Auch wenn Johanniskraut von Patienten oft besser vertragen wird als andere Medikamente gegen Depressionen, gibt es doch Neben- und Wechselwirkungen. Viele Patientinnen wissen z.B. nicht, dass Johanniskraut-Präparate die Wirkung der "Pille" beeinträchtigen können.
"Wir erleben immer wieder, dass Patienten zusätzlich zu einem Antidepressivum ein Johanniskraut-Präparat einnehmen, ohne ihren Arzt zu informieren", sagt Hegerl. Die Annahme, ein zusätzliches pflanzliches Präparat könne ja nicht schaden, sei falsch. Es gibt Wechselwirkungen zwischen Johanniskraut und Antidepressiva der älteren und neueren Generation, die dem Patienten unter Umständen schaden können. "Betroffene Patienten sollten die Therapie-Möglichkeiten offen mit ihrem Arzt besprechen", so Hegerl.
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