Am Beispiel der Angstkonditionierung von Labormäusen konnten Forscher des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie zeigen, daß beim Abklingen von Angstreaktionen der Cannabinoid- Rezeptor eine maßgebliche Rolle spielt.
Wie die Forscher in der aktuellen Ausgabe von Nature berichten, klang
bei Mausmutanten, denen der Cannabinoid-Rezeptor fehlte, die durch
einen unangenehmen akustischen Reiz ausgelöste Angstreaktion deutlich
langsamer ab als bei den Kontrolltieren. Aus diesen Erkenntnissen
könnten sich, so die Hoffnung der Forscher, neue therapeutische
Ansätze für die Behandlung von Phobien und posttraumatischen
Stresserkrankungen sowie gewissen chronischen Schmerzzuständen
ergeben.
Es gehört zu unserem evolutionären Erbe, daß wir in potenziell
bedrohlichen Situationen alarmiert sind: beim Aufenthalt in engen
Räumen, auf großen Plätzen oder in luftiger Höhe sowie bei der
Begegnung mit Tieren, die als abstoßend oder potenziell gefährlich
empfunden werden, wie Spinnen oder Schlangen. So wichtig die korrekte
Wahrnehmung potenzieller Bedrohungen ist, so bedeutsam ist eine
angemessene Reaktion darauf. Bei den meisten Menschen befinden sich
anfängliche Alarmiertheit und die sich anschließenden Reaktionen in
einem ausgewogenen Verhältnis, beim Ausbleiben der befürchteten
Katastrophe beruhigen sie sich recht schnell und können entsprechend
überlegt reagieren.
Es gibt aber auch Menschen, die in bestimmten Situationen eben nicht
zu einer derartigen Anpassung in der Lage sind. Bei ihnen kommt es zu
einem unkontrollierten Überschießen der ursprünglichen
Alarmreaktionen, was in eine Panikattacke münden kann. Ähnlich können
Menschen unter Umständen die Erinnerungen an ein traumatisches
Ereignis, wie z. B. an einen Unfall, Kriegserlebnisse oder Verbrechen,
oft jahrelang nicht verarbeiten und bewältigen. Über die Mechanismen,
die einer angemessenen emotionalen Anpassung an potenziell bedrohliche
Situationen zu Grunde liegen, ist bisher wenig bekannt.
Die jüngsten Ergebnisse der Forscher des Max-Planck-Instituts für
Psychiatrie legen jetzt den Schluss nahe, daß dem endogenen
Cannabinoid-System des Gehirns bei derartigen Prozessen eine zentrale
Rolle zukommt.
Die Extrakte von Cannabis sativa, geläufiger als Marihuana und
Haschisch, sind schon seit mehr als 5000 Jahren für ihre
therapeutischen und psychoaktiven Wirkungen bekannt. Als aktive
Komponente in Cannabis sativa wurde ?9-Tetrahydrocannabinol, kurz THC,
identifiziert. Das menschliche Gehirn besitzt mit dem
Cannabinoid-Rezeptor Typ 1 (CB1) einen entsprechenden Rezeptor für
THC, der durch körpereigene fettsäureartige Moleküle
(Endocannabinoide) aktiviert wird.
Zu den Hirnregionen, in denen CB1-Rezeptoren vorkommen gehört die
Amygdala (Mandelkern), die in kognitive und emotionale Prozesse eine
entscheidende Rolle spielt. So ist aus mehreren Humanstudien bekannt,
daß die Amygdala bei der Präsentation Angst auslösender Reize
aktiviert wird. Diese Aktivität nimmt jedoch rasch wieder ab. In den
Untersuchungen war bei Phobikern der Durchblutungsgrad des
Amygdalakomplexes, der eine gesteigerte neuronale Aktivität anzeigt,
im Vergleich zu dem normaler Versuchspersonen erhöht. Ähnliche
Ergebnisse wurden auch bei so genannten Konditionierungsexperimenten
gefunden. Hier lernten die Versuchspersonen, einen zunächst neutralen
Reiz mit einem unangenehmen Reiz zu assoziieren. Wurden sie
anschließend dem neutralen Reiz ausgesetzt, stieg die Aktivität in den
untersuchungsrelevanten Hirnstrukturen an.
Die Forscher stellten mit Hilfe molekularbiologischer und genetischer
Techniken so genannte Knockout-Mäuse her, denen der CB1-Rezeptor
fehlt. Auf diese Weise wurde die Signalübertragung durch die
Endocannabinoide im Gehirn unterbunden.
In Verhaltensexperimenten lernten die Knockout-Mäuse zunächst in einem
einzigen Trainingsdurchgang, ein neutrales Tonsignal mit einem
unangenehmen Reiz zu assoziieren. Bei erneuter Präsentation des Tons
am darauffolgenden Tag zeigten die Mäuse eine deutliche Angstreaktion.
Bei Andauern des Tones und gleichzeitigem Ausbleiben des unangenehmen
Reizes erholten sich normale Mäuse recht bald von ihrer Angststarre.
Mäuse ohne CB1-Rezeptor verblieben hingegen viel länger im Zustand der
Starre. Ähnlich verhielt es sich bei wiederholter Tonpräsentation an
aufeinanderfolgenden Tagen: die Kontrollmäuse zeigten eine stetige
Abnahme ihrer Angstreaktion, die Knockout-Mäuse dagegen nicht. Dabei
waren sowohl das Erlernen des Angsterverhaltens, also die Assoziation
von Ton und unangenehmem Reiz, als auch das Speichern des Erlernten im
Langzeitgedächtnis bei den Mausmutanten völlig normal.
Offensichtlich verschlechtert sich durch das Fehlen des CB1-Rezeptors
vor allem die Anpassungsfähigkeit der Tiere an potenziell bedrohliche
Reize. In einem begleitenden pharmakologischen Experiment konnten die
Forscher diese Schlussfolgerung tatsächlich bestätigen: Die Blockade
des CB1-Rezeptors durch einen selektiven Antagonisten beeinflusste das
Angstverhalten normaler Mäuse nur dann, wenn die Substanz vor Abruf
des Gedächtnisses, nicht jedoch wenn sie vor der Konditionierung
verabreicht wurde.
Weiters konnten die Forscher zeigen, daß die Endocannabinoide als
körpereigene Bindungspartner des CB1-Rezeptors zum Zeitpunkt der
erneuten Tonpräsentation im Amygdalakomplex stark angereichert werden.
Als retrograde Neurotransmitter vermitteln sie die
Informationsübertragung von der Post- zur Präsynapse der Nervenzellen,
also quasi umgekehrt von der Empfangs- zur Sendestation zurück. Anhand
elektrophysiologischer Messungen konnten die Forscher in der Amygdala
jetzt eine neue Art von plastischer Veränderung in der Kommunikation
zwischen den Nervenzellen nachweisen, die maßgeblich durch den
CB1-Rezeptor kontrolliert wird und möglicherweise für die Abnahme der
Angstreaktion bei wiederholter Tongabe verantwortlich ist.
Durch die Kombination von genetischen, biochemischen,
elektrophysiologischen und pharmakologischen Techniken konnte somit
dem Endocannabinoid-System am Beispiel der Angstkonditionierung eine
Rolle bei der Anpassung an Abneigung auslösende Situationen
zugeschrieben werden.
Obwohl der Nachweis der Allgemeingültigkeit dieser Ergebnisse für
andere Abneigung auslösende Situationen noch aussteht, bleibt zu
hoffen, daß sich aus diesen Erkenntnissen neuartige Therapieansätze
für die Behandlung von Patienten mit inadäquater Reaktion auf
potenziell bedrohliche Ereignisse (z.B. Phobiker und Patienten mit
traumatischen Erlebnissen oder mit gewissen chronischen
Schmerzzuständen) ableiten lassen.
Nature 418, 530 - 534 (2002)
The endogenous cannabinoid system controls extinction of aversive memories
Giovanni Marsicano, Carsten T. Wotjak, Shahnaz C. Azad, Tiziana
Bisogno, Gerhard Rammes, Maria Grazia Cascio, Heike Hermann, Jianrong
Tang?, Clementine Hofmann, Walter Zieglgänsberger, Vincenzo Di Marzo &
Beat Lutz
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