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Aktive Sterbehilfe: Überschreitung des moralischen Handlungsrahmens

10.10.1999

Die Gesundheitsgespräche beim Europäischen Forum Alpbach 1999 befaßten sich auch mit dem Thema Euthanasie

Mit einem Plädoyer für "die Entnazifizierung der Euthanasie" ließ Prof. Dr. Rudolf Burger, Rektor der Hochschule für angewandte Kunst, bei der Podiumsdiskussion "Selbstbestimmtes Sterben - eine Frage der Ethik, eine Frage der Rechtsordnung?" aufhorchen. Dennoch verlief die Diskussion überraschenderweise relativ emotionslos, was nicht zuletzt Verdienst des Moderators Dr. Michael Neider, Leitender Staatsanwalt im Bundesministerium für Justiz, war.

"Unerträgliches" Leiden Im Mittelpunkt stand die niederländische Ministerin für Gesundheit, Soziales und Sport, Dr. Elisa Borst. Sie stellte ruhig und kompetent die alltägliche Praxis der Euthanasie in ihrem Land dar. Seit 1984 existieren dort gesetzliche Grundlagen, welche die Durchführung der aktiven Sterbehilfe regeln. So muß der wohlüberlegte Wunsch des Patienten, zu sterben, geäußert und mehrfach wiederholt werden. Der Arzt muß sicher sein, daß sich der Patient seiner Situation voll bewußt ist, und Alternativen diskutiert wurden. Es darf keine Aussicht auf Remission bestehen, das Leiden muß "unerträglich" sein, und die Meinung eines zweiten Arztes muß eingeholt werden. Die sachliche Darstellung des für unser Empfinden eigentlich Ungeheuerlichen kreierte eine vermeintliche allgemeine Akzeptenz, die nur von wenigen mutigen Publikumsdiskutanten in Frage gestellt wurde. Da das niederländische System auf den geäußerten Wünschen der Menschen basiert, blieb die Ministerin vor allem eine Antwort schuldig: Was geschieht mit jenen Menschen, die zu dieser freien Willensäußerung aufgrund von Krankheit, geistiger Behinderung oder vegetativem Status (Koma) nicht fähig sind und damit ihr Recht auf Selbstbestimmung nicht wahrnehmen können?

Belastetes Thema Als "Schutzwall für eben diese Selbstbestimmung" bezeichnete der Ordinarius des Instituts für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien, Prof. Dr. Manfred Burgstaller, unser derzeitiges Rechtssystem. Er warnte vor einer Entwicklung zu einem Zustand, in dem der kranke, pflegebedürftige, alte Mensch es als unmoralisch empfinden könnte, weiterzuleben. Nach österreichischem Recht seien aktive und passive Mitwirkung am selbstgewollten Sterben zur Zeit undenkbar. Die Gedankenwelt des eingangs erwähnten Professor Burger kreiste vorwiegend um den heroischen Freitod, den er mit zahlreichen historischen Beispielen belegte. Daraus versuchte er, das aktive Töten eines Menschen in diesem besonderen Fall (Todeswunsch) auf "Mithilfe zum Selbstmord" zu reduzieren. Dies blieb nicht unwidersprochen. Letztlich bleibt das Thema Euthanasie aufgrund unserer Vergangenheit belastet. Insofern war es erleichternd, daß der Medizinethiker Doz. Dr. Johannes Meran in seinen Ausführungen das allgemeine Empfinden des Podiums ausdrückte, nämlich daß selbstbestimmter Tod nicht eine besondere Form der Lebenskultur, sondern eine Überschreitung unseres moralischen Handlungsrahmens darstelle. Das niederländische Modell betrachtet er mit Sorge und empfindet es als bedrückend; vor allem deshalb, weil dort die beabsichtigte Tötung zum ärztlichen Alltag geworden ist. Nicht nur, daß es niemanden mehr aufrege, gefährlicher sei "daß durch administrative gesetzliche Regelungen eine Sicherheit und mora- lische Normalität suggeriert werde. Es beunruhige offenbar niemanden mehr, daß Euthanasie an tausenden Menschen vorgenommen werde - es werde im Gegenteil als hochmoralisch angesehen. "Denn Leid", so schloß Meran, "kann nicht durch Beseitigung der Leidenden abgeschafft werden." Vielmehr müsse die Energie aller redlich an der Begrenzung von Leid Interessierter zur Verbesserung der Palliativmedizin und zur Altenpflege genutzt werden.

© medizin.at / ÄRZTEWOCHE

 

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