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Zwischen Theorie und Praxis der Infarktprävention

24.10.1999

Der Arzt als Lebensstilberater: Vor allem bei Patienten mit Fettstoffwechselstörungen trauen sich österreichische Mediziner durchaus gute Motivationserfolge zu.

"Niedergelassene Ärzte wissen offenbar recht gut Bescheid über Grenzwerte von kardiovaskulären Risikofaktoren und Behandlungsrichtlinien. Nur die Gewichtung der einzelnen Risikofaktoren und des notwendigen Zeitaufwandes für die Information der Patienten ist nicht immer plausibel, sondern augenscheinlich mehr von der jeweiligen Öffentlichkeitsarbeit und weniger von medizinischen Fakten beeinflußt."

Dies ist eine der wichtigen Schlußfolgerungen, zu denen Prof. Dr. Bernhard Schwarz, Institut für Sozialmedizin, Wien, nach Auswertung der Fragebögen kommt, die Anfang Juni als Beilage der ÄRZTE WOCHE an alle niedergelassenen praktischen Ärzte und Internisten ausgesandt wurden.

Wieviel Zeit? Zweck dieser Fragbogenaktion über die "Individuelle Infarktprävention für die Praxis" des Instituts für Sozialmedizin in Kooperation mit der Klinischen Abteilung für Kardiologie, Univ.-Klinik für Innere Medizin II der Universität Wien war es, Informationen über den Kenntnisstand der Ärzte über die aktuellen Richtlinien für die Prävention von Herz-Kreislauferkrankungen zu erlangen. Vor allem sollte jedoch untersucht werden, wie damit in der Praxis umgegangen wird, wieviel Zeit dafür aufgewandt wird und wo die Probleme im Praxisalltag liegen. Die Auswertung habe trotz des eher enttäuschenden Rücklaufs - auswertbare Resultate liegen nur von 67 ÄrztInnen vor - sehr aufschlußreiche Informationen geliefert, betont Schwarz gegenüber der ÄRZTE WOCHE.

Grenzwerte So ist in bezug auf die vier wichtigsten Risikoparameter (Gesamt-Cholesterin, LDL-C, HDL-C, Quotient gesamt/HDL-C) gefragt worden, ab welchen Werten Ärzte ihren Koronarpatienten in der Primärprävention zu diätetischen bzw. medikamentösen Maßnahmen raten. Beim Gesamtcholesterin, zu dem es seit vielen Jahren unzählige Publikationen gibt, ist die Grenze sehr gut gezogen worden: für 96,6% der Ärzte stellen 250mg/dl Gesamtcholesterin eine absolute Grenze dar, die eine Lebensstilmodifikation notwendig macht, auch wenn keine anderen Risikofaktoren vorliegen. Im Gegensatz dazu wird beim LDL-C, jenem Parameter, dem in Zukunft ein weitaus höherer Stellenwert bei der Beurteilung des Koronarrisikos einzuräumen sein wird, der Zielwert häufig verfehlt. Bei 130mg/dl sehen nur 28, bei 160mg/dl nur insgesamt 78% der Mediziner eine diätetische Behandlungsbedürftigkeit gegeben (LDL-Zielwerte in der Primärprävention laut Schwarz: émg/dl bei Vorliegen von zumindest einem weiteren Risikofaktor, ámg/dl ohne weitere Risikofaktoren).

Zutreffend seien hingegen die Angaben zum prognostisch ebenfalls sehr wichtigen Quotienten Gesamt/HDL-C: für 94,1% liegt der Grenzwert bei 5. In bezug auf die Sekundärprävention werden korrekterweise die Grenzwerte strenger gezogen. Aber auch hier seien die Angaben zum Gesamtcholesterin treffender (diätetische Maßnahmen für 98,3% der Ärzte bei höchstens 250mg/dl), als zum LDL-C (bei 130 mg/dl besteht nur für 48 % der Ärzte die Notwendigkeit für diätetische Massnahmen, erst bei 160mg/dl sind es 92%).

Die absolute Indikation für Lipidsenker in der Sekundärprävention ist bei einem Gesamtcholesterin von 220mg/dl für 57,4% gegeben, bei Werten von 250mg/dl für 90,7%. Die Angaben für LDL-C: bei 130mg/dl greifen 42,6%, bei 160mg/dl nur 74,5% zu Lipidsenkern.

Lebensstiländerung Weiters sollte geklärt werden, wie wichtig Ärzte in der Primärprävention die einzelnen Maßnahmen zur Verbesserung des Lebensstils einschätzten. Als wichtigste Maßnahme wurde die Rauchertherapie eingestuft, Ernährung und Bewegung deutlich geringer. Dazu Schwarz: "Das ist erstaunlich. Denn Nikotinabstinenz ist zwar auch in der Primärprävention wichtig, die Umstellung der Ernährung kann aber zur Senkung des Infarktrisikos wahrscheinlich mehr bewirken. Offenbar trägt die stärkere Präsenz des Risikofaktors Rauchen in den Medien zu dieser falschen Gewichtung bei."

Optimistische Sicht Interessant sei weiters der durchschnittliche Zeitaufwand der Ärzte pro Patientenbesuch für die einzelnen Faktoren. Die Beratung bei Übergewicht und Fettstoffwechselstörungen ist recht rasch erledigt: bei Übergewicht wenden 39,7% der Ärzte bis zu fünf Minuten und weitere 36,2% sechs bis zehn Minuten auf, bei Fettstoffwechselstörungen 37,9 Prozen% Minuten und 34,5% sechs bis zehn Minuten.

Etwas mehr Zeit bleibt für Hypertoniker: 27,6% bis fünf Minuten, 44,8 zwischen sechs und zehn Minuten, deutlich mehr hingegen für Diabetiker: 15,5% bis fünf Minuten, 31% sechs bis zehn Minuten, aber 31% elf bis fünfzehn Minuten. Schwarz: Offenbar ist der Stellenwert der Fettstoffwechselstörungen noch nicht richtig erkannt.

Die Bedeutung medikamentöser Maßnahmen des Hypertoniemanagements in der Primärprävention wird von etwa zwei Drittel der Befragten als ziemlich bedeutend (sehr hoch und hoch: 75%) eingestuft, für Diabetes nicht ganz so wichtig (sehr hoch und hoch: 60%), gefolgt von Fettstoffwechselstörungen (ca. 55%). Wohingegen Übergewicht (ca. 35%), Rauchen (ca.46%) und so einfachen Maßnahmen wie Thrombozyten-Aggregationshemmer (ca. 48%) ein noch geringerer Stellenwert eingeräumt wird.

Im Vergleich zur Primärprävention wird Lebensstiländerungen in der Sekundärprävention eine tendenziell größere Bedeutung beigemessen als medikamentösen Maßnahmen. Schließlich wurde noch danach gefragt, wie Ärzte den Erfolg ihrer Maßnahmen einschätzen.

Die Chance, dass Patienten zur Bewegungstherapie motiviert werden können, wird höher eingeschätzt (sehr gut bis befriedigend: 71%) als jene zur Raucherentwöhnung (49,2%) oder bezüglich Übergewicht (62,3%). Am stärksten glauben Ärzte an den Erfolg der Lebensstilmodifikation bei Patienten mit Fettstoffwechselstörungen (sehr gute bis befriedigende Erfolgschancen: 80,3%).

Dazu Schwarz: "Da Ärzte gerade für diese Patienten am wenigsten Beratungszeit aufwenden (s. weiter oben) bedeutet dies, daß offenbar die Meinung vorherrscht, daß Fettstoffwechselstörungen mit wenigen Worten abgetan sind, wohingegen Diabetes ein vielschichtigeres Problem ist und daher auch ht wirklich plausibel, weil Diätempfehlungen für Diabetiker und Patienten mit Fettstoffwechselstörungen seit einigen Jahren weitgehend ident seien. Auch hierbei zeige sich, dass Fettstoffwechselstörungen offenbar nicht wichtig genug genommen würden.

Bei Diabetes wird der Erfolg der Lebensstilmodifikation fast so hoch eingeschätzt (sehr hoch bis befriedigend: 86,9%) wie jener von Medikamenten (89,1%), während bei Hypertonie dem Lebensstil deutlich weniger Erfolgschancen eingeräumt werden (80%), als medikamentösen Maßnahmen (98,1%). Auch diese Einschätzung zeige eine erstaunlich optimistische Sicht, so Schwarz.

Denn nach der jüngsten Einschätzung der österreichischen Hypertoniegesellschaft seien nicht nur rund 50 Prozent der Hypertoniker noch nicht entdeckt, sondern auch nur ein kleiner Teil der bekannten Hypertoniker gut eingestellt. Und der Großteil der Hypertoniker könnte normoton werden, wenn sie ihren Lebensstil entsprechend ändern würden.

© medizin.at / ÄRZTEWOCHE

 

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