"Viele Ärzte bezeichnen Diabetes-patienten typischerweise als meist non-compliant", meint Dr. Thomas P. Egger, Oberarzt an der 1. Med. Abt. des Donauspitals im SMZO, Wien. "Ich halte das für unreflektiert.
Viele Kolleginnen und Kollegen glauben, Lebensstil und Ernährungsverhalten ihrer Patienten, welche in vielen Jahren geprägt wurden, mit kurzen Anweisungen wie "halten Sie Diät" oder "nehmen Sie zehn Kilo ab" ändern zu können."
Egger beschreibt, wie Ärzte das Behandlungsziel häufig definieren. (Siehe Kasten 1). "Wir haben eine große Lücke in unserem Wissen über das Management der Alltagsprobleme durch die Patienten", stellt Egger fest.
HbA1c-Werte zwischen 6,0 und 6,5% werden häufig so interpretiert, daß der Patient die Behandlungsrichtlinien befolgt. Solche mit hohen HbA1c-Werten über 8,5% werden als non-compliant bezeichnet. Dieser Wert ist allerdings ein schlechter Indikator für Verhalten. "Ein hoher HbA1c-Wert sagt nur etwas darüber aus, daß die Behandlung während der letzten zwei bis drei Monate nicht optimal war, aber in keiner Weise etwas über die Art der Behandlung. Ernährung ebenso wie Begleiterkrankungen und inadäquate medikamentöse Therapie können eine Rolle spielen", erklärt Egger.
Ernährung durch Umfeld geprägt
Egger: "Der Patient steht in einem bestimmten kulturellen und politischen Umfeld, maßgeblich sind auch Erfahrungen seiner Familie, Freunde und des Betreuungsteams. Entscheidend für sein Verhalten sind persönliche Erkrankungsmodelle, Information über die Erkrankung beziehungsweise Wissensdefizite, seine Problemlösungsstrategien sowie Meinungen der Umgebung des Patienten."
Nahrungsgewohnheiten sind in kulturellen und sozialen Traditionen sowie in der Familiengeschichte geprägt ("ein braves Kind ißt auf"). "Die persönliche Erfahrung zeigt, daß das Wohlbefinden steigt, wenn der Magen gefüllt ist, daß Süßigkeiten die Stimmung heben und daß ein leerer Magen mit Unlustgefühl verbunden ist", erinnert Egger.
Verhaltensänderung nicht spürbar
Die Aufforderung "halten Sie Diät" oder "nehmen Sie zehn Kilo ab" haben für die Patienten keinen unmittelbaren Vorteil und erscheinen unsinnig. Mahlzeiten in vertrauter, familiärer Umgebung werden durch die geforderte Verhaltensänderung gestört. "Wer von uns wäre bereit, einer Anordnung ohne genau definiertes Ziel und erkennbaren, spürbaren oder erlebbaren Erfolg zu folgen?" fragt Egger.
Hochmotivierte Patienten berichten, daß nicht der hohe Blutzucker, sondern lediglich die Kenntnisnahme bei Messung und vor allem die Dokumentation eines hohen Blutzuckerwertes schmerzlich sind. Trotz Anstrengung, trotz Verzicht und trotz der unter Umständen mehrmals täglich zugeführten Verletzungen ist es wieder nicht gelungen, das Ziel zu erreichen, und dieses Versagen soll auch noch schriftlich festgehalten und einer anderen Person mitgeteilt werden.
Schulung sehr wichtig
Die ursprüngliche Zielsetzung kann also nicht beibehalten werden, sondern muß neu definiert werden (Siehe Kasten 2). Egger betonte abschließend die Wichtigkeit von strukturierten Schulungen. Durch geeignete psychologische und pädagogische Methoden müssen dem Patienten die Informationen vermittelt werden, die für ihn entscheidend sind. Die veränderte und bisweilen gestörte Beziehung mit seiner Umgebung kann in der Gruppe bearbeitet werden und begleitet werden.
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