Die Multiple Sklerose ist kein einheitliches Krankheitsbild
Multiple Sklerose (MS) gehört zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen bei jungen Erwachsenen. Das Krankheitsbild, das durch ganz unterschiedliche Verläufe gekennzeichnet ist, ist wahrscheinlich auch auf verschiedene Ursachen zurückzuführen und das Erscheinungsbild der MS nur das phänomenologische Endprodukt dieser Vielfalt, meint Prof. Brück vom "Institut für Neuropathologie" der Berliner Charité.
Gemeinsam mit Forschern aus Wien und Rochester/USA konnte er zeigen, daß die durch MS verursachten Gewebeschäden verschiedener Patienten unter dem Mikroskop ganz unterschiedlich aussehen, was auf unterschiedliche Krankheitsarten hinweist. Insbesondere sind die Zerstörung der Markscheiden (die den zentralen Prozeß der Erkrankung ausmacht) und die Zerstörung der Nervenzellfortsätze (die die Signale von einer Nervenzelle auf die andere weiterleiten) zwei von einander unabhängige Prozesse.
Bis vor kurzem ging man davon aus, daß der entscheidende Vorgang bei MS eine Autoimmunreaktion körpereigener Abwehrzellen ist, bei der das Immunsystems sich gegen Bestandteile der Umhüllung (Markscheide) von Nervenzellen richtet und die Hüllsubstanz mehr oder weniger großflächig zerstört. Die Forscher fanden nun heraus, daß die MS nicht alleine durch Immunphänomene in ihrem ganzen Ausmaß erklärt werden kann, vielmehr seien diese nur für einen Teil der Fälle verantwortlich.
Die Zerstörung der Gehirnzellen (Oligodendrozyten), die die Markscheiden bilden, beruht in weiteren Gruppen von MS-Fällen auf Schäden oder Störungen im Stoffwechsel dieser Zellen und das Immunsystem ist daran vermutlich nur sekundär beteiligt. Diese Stoffwechselstörungen sind vermutlich auf Gendefekte zurückzuführen. Die Forscher konnten durch histo-pathologische Untersuchungen auch nachweisen, daß bei einer größeren Gruppe von Patienten die Zerstörungen an den Achsenzylindern der Nervenzellen, die in bildgebenden Verfahren wie der Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) als "schwarze Löcher" dargestellt werden und eine schlechte Prognose anzeigen, als degenerative Vorgänge einzustufen sind. Zur Zeit sind die Forscher dabei, die pathologisch-histologischen Befunde mit den klinischen Erscheinungen der MS, den Bildern des MRT und mit bestimmten für die MS typischen Markern im Blut und im Nervenwasser (Liquor) der Erkrankten in Beziehung zu setzen und somit die Untergruppen der Multiplen Sklerose zu umreißen.
Mit der Kenntnis unterschiedlicher Arten der MS kommen auch gezieltere Therapien in den Blick, die den zugrundeliegenen Krankheitsmechanismus berücksichtigen. Zumal das bekannteste Mittel gegen MS, Interferon, nur bei etwa einem Drittel der Patienten wirksam ist und sich offenbar nur gegen Immunphänomene richtet. Bei den degenerativen Vorgängen, die anti-entzündlich nicht zu beeinflussen sind, wird man vermutlich versuchen, den Stoffwechsel der Oligodendrozyten, etwa mit Wachstumsfaktoren, zu verändern. Es gibt auch Hinweise darauf, daß mit Copaxone, einem Gemisch aus drei Aminosäuren, die Entstehung "schwarzer Löcher" zu verhindern ist, sofern das Mittel frühzeitig und langfristig eingesetzt wird.
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