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Bericht: Strahlungsresistenter Organismus offenbart Schutzmechanismus

Forscher des Weizmann Instituts haben herausgefunden, was das Bakterium Deinococcus radiodurans zum bestgeschützten Lebewesen vor Strahlungsschäden macht. Die DNS der Mikrobe ist zu einem dichten Ring gewunden. Diese Ergebnisse, die in der Zeitschrift Science erschienen, lösen ein Rätsel, das die Wissenschaft schon seit geraumer Zeit beschäftigt hat.

Das rote Bakterium kann eine Strahlung von 1,5 Millionen Rad aushalten -- tausend Mal mehr als jede andere Lebensform auf der Erde und dreitausend Mal mehr als der Mensch.

Der gesunde Appetit des Bakteriums macht es zu einem verlässlichen Arbeiter auf Kernmüllhalten, wo es radioaktiven Abfall frisst und in leichter verarbeitbare Produkte umwandelt. Aufgrund seiner extremen Widerstandsfähigkeit gegenüber jeglicher Belastung wie Trockenheit oder extreme Kälte zählt das Bakterium zu den wenigen Lebensformen, die auch am Nordpol zu finden sind.

Kürzlich spielte es sogar die Hauptrolle in einer Debatte zwischen der amerikanischen Weltraumbehörde NASA und russischen Wissenschaftlern: Letztere behaupteten, die Mikrobe stamme vom Mars, wo eine hoehere Strahlung herrscht.

Da die DNS der Teil einer Zelle ist, der durch Strahlung als erster geschädigt wird, wobei der fatalste Schaden der Bruch beider DNS-Stränge ist, interessierte sich die Forschung vor allem für die DNS-Reparaturmechanismen des Bakteriums, um hinter das Geheimnis seiner Widerstandskraft zu kommen.

Zellen, auch menschliche Zellen, können nur sehr wenige solcher DNS-Brüche reparieren. Mikroben zum Beispiel können nur drei bis fünf solcher Brüche heilen. D. radiodurans hingegen kann über 200 Reparaturen durchführen. Forscher vermuteten demnach, die Mikrobe müsse über besonders wirksame Enzyme zur DNS-Reparatur verfügen. Eine Reihe von Experimenten zeigte jedoch, dass sich die Reparaturenzyme des Bakteriums von denen herkömmlicher Bakterien kaum unterscheiden.

Durch Untersuchungen mit verschiedenen optischen Methoden und Elektronen-Mikroskopen fand Prof. Avi Minsky der Abteilung Organische Chemie des Weizmann Instituts heraus, dass die DNS des Bakteriums zu einem einzigartigen Ring geformt ist, der verhindert, dass die durch Strahlung abgebrochenen DNS-Stücke in der Zellflüssigkeit fortgeschwemmt werden.

Im Gegensatz zu anderen Organismen, bei denen DNS-Fragmente durch Strahlung verloren gehen, verliert diese Mikrobe ihre genetische Information nicht, weil sie die abgetrennten DNS-Teile -- wenn nötig, zu Hunderten - eng verschlossen im Ring behält. Die Fragmente werden schliesslich wieder in der korrekten, ursprünglichen Ordnung in die DNS-Stränge eingefügt.

So aufregend diese Ergebnisse sein mögen - sie werden kaum helfen, Menschen vor Strahlen zu schützen. 'Unsere DNS ist grundsätzlich anders strukturiert', sagt Minsky. Die Ergebnisse könnten jedoch zu Aufschluss über die Frage geben, wie Spermazellen ihr Erbgut schützen, da in ihnen ebenfalls eine ringartige Struktur beobachtet wurde.

Eine Kiste voller Ueberlebenstricks
Minskys Team fand ausserdem, dass die Mikrobe bei der DNS-Reparatur zwei Phasen durchläuft. Während der ersten Phase repariert sich die DNS selbst wie beschrieben innerhalb des Rings. Dann aber führt sie ein höchst ungewöhnliches Kunststück aus.

Das Bakterium besteht aus vier Kammern, von denen jede eine Kopie der DNS enthält. Minskys Gruppe fand zwei kleine Verbindungswege zwischen den Kammern. Nach etwa anderthalb Stunden Reparaturzeit im Ring öffnet sich dieser und die DNS wandert in eine angrenzende Kammer zu der dort ansässigen Kopie. Nun setzt ein 'normaler' Reparaturvorgang ein, wie wir ihn sowohl beim Menschen und als auch bei Bakterien kennen:

Reparaturenzyme vergleichen beide DNS-Kopien und bessern fehlerhafte Stellen aus. Da die DNS bereits eine Reparaturphase hinter sich hat, in der viele Brüche repariert wurden, kann diese Phase relativ problemlos durchgeführt werden.

Und ein Back-Up-System -- für alle Fälle...
Natürlich fragten sich die Wissenschaftler der Gruppe sofort, wie das Bakterium, dessen DNS zu einem dichten Ring geschlungen ist, unter normalen Bedingungen leben und funktionieren kann. DNS-Stränge müssen sich aufdrehen, um ihre Aufgabe, die Proteinproduktion, zu erfüllen.

Wie ist das möglich, wenn sie sich kaum bewegen können? Diese Frage führte zur Entdeckung einer weiteren Überlebensstrategie des Mikroorganismus: Von vier Kopien der DNS sind immer zwei oder drei zu einem festen Ring gewunden, während sich die anderen Kopien frei bewegen können. So gibt es jederzeit DNS-Kopien, die Proteine produzieren, und andere, die inaktiv, aber gut geschützt sind.

Minsky und andere Forscher glauben, dass sich die beachtlichen Eigenschaften des Bakteriums bei der Anpassung an Belastungen auf der Erde und als Reaktion auf harte Umweltbedingungen entwickelten, unter denen es möglicherweise entstand. Es ist eine der wenigen Lebensformen, die in extrem trockenen Gebieten gefunden werden. Der einzigartige Schutzmechanismus, der entstand, um sich gegen Austrocknung zu schützen, erweist sich auch beim Schutz vor Strahlung als wirksam.

Deinococcus radiodurans wurde vor Jahrzehnten in Lebensmitteldosen entdeckt, die zur Sterilisierung bestrahlt worden waren. Rote Flecken in den Dosen erwiesen sich als Kolonien des Bakteriums, und bald stellte sich die Frage, wie sie überleben konnten. Obwohl diese Frage nun beantwortet ist, werden die Spekulationen über den Ursprung dieser Mechanismen sicherlich weitergehen.


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