Skarifizierung
aus ethnologischer Sicht
Skarifizierung
(oft auch Narben-Tatuierung genannt) wurde seit dem Paläolithikum
in vielen Teilen der Welt als freiwilliger Eingriff in den menschlichen
Körper praktiziert - meist zum Zwecke seiner Verschönerung.
Was Außenstehenden als unheimliche Entstellung vorkommen kann,
erscheint in der kulturspezifischen Innenperspektive als kunstvolle
Gestaltung des richtigen, des schönen oder des ausgezeichneten
Menschen. Oft kommen den Skarifizierungen die gleichen Bedeutungen zu
wie dem Schmuck - man spricht deshalb auch von Schmucknarben bzw. von
Ziernarben. Sie dienen der Abgrenzung, der Heraushebung, dem Prestigebedürfnis,
ästhetischer Spielerei oder auch magischen Absichten - doch anders
als Schmuck sind Skarifizierungen von lebenslanger Dauer.
Verbreitung
Narben-Tatauierungen waren bis in die jüngste Vergangenheit besonders
bei dunkelhäutigen Völkern weit verbreitet, da bei ihnen der
bei normalen Tatoos verwendete Farbstoff auf Grund der starken Pigmentierung
nicht so zum Ausdruck kommt; hellhäutigere pflegten hingegen die
Stich-Tatauierung, bei der Farbstoffe durch Stechen, Schneiden u.a.
mit Dornen oder kleinen gezähnten Hämmern unter die Haut geführt
werden. Selbst der berühmte Eismann "Ötzi" trug
bereits ein wunderschönes Tatoo! In Afrika finden wir heute noch
die Praxis der Skarifizierung vor allem bei Angehörigen der Nilo-Saharischen
Sprachfamilie rund um den Tschadsee und im Sudan, aber auch bei einigen
Völkern in Nigeria, in Kenya und Tanzania, in Mozambique und Angola.
Technik
Bei der Narbentatauierung erzielt man die Knopf- oder Wulstmuster durch
wiederholte Hautritzungen oder tiefere Einschnitte in die Haut an derselben
Körperstelle.
Durch die künstliche Verzögerung einer raschen Heilung sollen
möglichst deutlich sichtbare Narben entstehen. Dies geschieht durch
Verunreinigung wie Einreiben der Wunden mit Asche und anderen Stoffen,
Abreißen des Schorfs (auch Einbrennen) und neuerliches Aufreißen
der Wunde.
Diese Schmucknarben sind daher roher und gröber als die Ornamente
der Stich-Tatauierung. Eine Kombination von Stich- und Narbentatauierung
wenden die Fulbe-Bororo von Senegal bis Niger an. Zuerst sorgt man für
knopfartige "Keloidnarben" - dicke Wülste - dann tatauiert
man darauf eine dunkle Zeichnung.
Form
und Bedeutung
Die Ethnologie hat einen großen Reichtum an festgelegten Mustern
dokumentiert, deren Bedeutung regional sehr verschieden sein kann: Lineare
Zeichnungen, flächenhafte Musterungen, Ornamente, religiöse
Symbole, etc. Jedes Muster hat seinen Namen und seine spezifische Bedeutung:
Diese reicht vom einfachen Schmuckbedürfnis über Stammes-
und Klanzeichen, bis zu Rang- und Statusabzeichen. Skarifizierungen
werden meist erst in einem bestimmten Alter vorgenommen - oft in Verbindung
mit der Initiation oder mit Übergangsriten. Als Ausweis des vollzogenen
Übertritts in einen neuen Lebensabschnitt symbolisieren sie z.B.
die Aufnahme Jugendlicher in den Kreis der Erwachsenen. Oft treten im
Verlauf solcher Initiationsriten "Tierahnen" in Gestalt der
Maskentänzer auf, sie reißen dem Initianden die Stammeszeichen
in den Leib. Dabei werden Messer verwendet, die Raubtierkrallen nachgebildet
sind, und es entstehen Narbentatauierungen, die Verwundungen von Raubtieren
verblüffend ähnlich sind.
In Schwarzafrika
wird zur Krankenheilung die Skarifizierung bevorzugt angewendet. Die
Heilwirkung ist hierbei dem Blutverlust (Aderlaß) zuzuschreiben.
Man behandelt damit alle Arten von Schmerzen, sei es im Kopf, Magen,
Brust oder Rücken, sei es Rheumatismus, Gelenksentzündungen
oder Verstauchungen. Sie werden von Heilern angebracht, die ihre Dienste
auf dem Markt anbieten. Neben diesen sozialen und medizinischen Funktionen
hat Narbentatauierung aber vorrangig reinen Schmuckcharakter, besonders
bei den Frauen. Dazu kommt die zweifelhaft erotische Wirkung, die von
gewissen Körperverzierungen ausgeht. Allerdings ist seit einigen
Jahrzehnten auch diese kulturelle Praxis rapide im Verschwinden begriffen
und in zahlreichen Staaten sogar verboten. Oft versucht man, sich durch
kosmetische Operationen der Skarifizierungen zu entledigen oder sie
weniger auffällig zu machen.
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